Endlich kam das heiß
ersehnte Telegramm: Ich wurde wieder gebraucht. Also schnell Sachen
gepackt und tschüß Mellingen.
Zuerst ging es nach Rostock, und nachdem alles geklärt war
("Rudi Breitscheid" war in der Werft), erst einmal im Haus
Sonne nach dem Rechten sehen. Wie immer traf man jemanden, man erzählte
und trank ein klein wenig, und so war der Zug nach Wismar weg. Schnell für
7,50 Mark eine Übernachtung im "Seemannshotel" gebucht
und die Gespräche an der alten Back weitergeführt. Am anderen Tag
fuhren wir dann total übermüdet mit dem Reedereibus Typ Robur nach
Wismar, wo wir schon erwartet wurden.
Auf dem Schiff sah es schlimm aus. Na ja, eben wie in der Werft. Die
Hauptmaschine lag auf den Flurplatten verstreut. Das Ladegeschirr und die
Takelage lagen an Deck oder waren schon in irgendwelchen Hallen. Ich
hatte mich schnell wieder eingelebt. Ein paar Bekannte von der ersten
Reise waren ja noch da. Es war aber nicht mehr so wie früher, und die
Werftzeit hatte sowieso ihre eigenen Gesetze. Zum Glück gab es in der Nähe
der Werft ein Sportlerheim (Gaststätte). Dort holten wir immer unser
Feierabendbierchen, wenn wir zu müde für den Landgang waren. Wir
nutzten aber auch die kulturellen Angebote der Stadt Wismar und gingen
oft in die Milchbar und anschließend noch in den Seemannsclub. Ja,
Wismar hatte schon schöne Kultur- äh, Gaststätten, die ich hier gar
nicht mehr alle aufzählen kann, aber die Wismarfahrer wissen ja, wovon
ich schreibe.
Weihnachten und Silvester 1976/77 verbrachte ich auf der
Matthias-Thesen-Werft in Wismar. Es war schweinekalt und wir mussten
unser Schiff einigermaßen eisfrei halten. Ab 11. Januar 1977
gewährte man mir zehn freie Tage. Aber auf dem kalten Schiff hatte ich
mich erkältet und so hängte ich noch ein paar Tage SVK-Urlaub dran. Am
1. Februar 1977 war "Gerhard Bienenfleiß" wieder an
Deck.
Die Werft wollte einfach kein Ende nehmen. Aber endlich - Anfang März
begann das Beladen, und am 8. März konnten wir auslaufen. Auf
Rostock-Reede mussten wir noch auf Besatzungsmitglieder warten. Wir waren
bereits ausklariert, und somit sammelten sich zu unserer Freude endlich
wieder die ersten Westflocken an. Aber dann ging es los, wie immer, um in
Westeuropa zu laden. Danach begann die Reise erst richtig, denn es kamen
keine Inspektoren und andere Kontrolleure mehr, und wir konnten die
Seefahrt wieder genießen. Zügig ging es durch den Suezkanal, weiter
nach Basrah (Irak). Was wir dorthin gebracht haben, weiß ich nicht, denn
die Luken waren verschweißt. Zwölf Tage später begann unsere
Indien-Rundfahrt. Die Reise verging wie im Fluge, nach 123 Tagen waren
wir wieder zu Hause, das heißt in Wismar. Es folgte wieder eine lange
und teure Hafenliegezeit (Milchbar/Interclub). Die einzige Abwechslung im
Hafen war das fast tägliche Verholen des Schiffes. Am 22. August 1977
musterte ich dann ab.
Ich war später noch einmal auf "Rudi" zu Besuch an Bord
(war schon als "Eisenschwein" umgebaut). Das einzige, was noch
an unsere glorreiche Zeit erinnerte, war die alte Tapete in meiner
Kammer.
Gerhard
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